»Matteo. Wie steht’s um den Abschluss?«, fragt der alte Reverend.
Mein Großvater war ausserhalb seiner Gottesdienste nie ein Mann großer Worte gewesen. Vor allem ist ihm der leicht Vorwurf, welcher in jeder seiner Fragen mitschwingt, nie abhanden gekommen.
»In Greifbarer Nähe, Nono.«, antworte ich und gehe an ihm vorbei durch die offen stehende Tür direkt in den Flur. Seine Gegenantwort warte ich garnicht erst ab. Warum auch? Im Grunde gibts es so oder so nur zwei Möglichkeiten.
Im Wandschrank riecht es nach Früher, nach der unverkennbaren Note von Schuhcreme, sauberer Wäsche und einem neuen Wasserball.
Zum einen könnte er mir Vorwürfe machen und zum anderen könnte er mir vorhalten, dass ich meine Leben offensichtlich vergeude. Es ist vollkommen egal welches Los mein Großvater heute aus dem Hut zieht. Am Ende ist es – in meinem Fall -mit ziemlicher Sicherheit eine Niete.
Keine Ahnung ob er erwartet hatte, dass ich ihm auf der großen weißen Veranda, die das Haus umspannt, meine Aufwartung mache, aber ehrlicherweise ist mir auch die Erwartung meines Großvaters herzlich egal. Ich kann mich nur an eine Situation in den letzten Jahren erinnern, in der ich mehr als Gleichgültigkeit für den alten Mann empfunden hatte. Bei der Beerdigung meiner Großmutter. Er hatte am Sarg seiner großen Liebe gestanden und geweint. Gleichzeitig war dies auch der erste Moment gewesen, in dem ich bei ihm eine Gefühlsregung ausserhalb von Ablehnung, Überheblichkeit und Selbstmitleid gesehen hatte.
Das Haus hat sich kaum verändert, stelle ich erleichtert fest und mein Herz erwärmt sich ein ganz kleines bisschen. Wie einer dieser kleinen bunten Taschenwärmer verbreitet sich das Gefühl in mir ganz langsam, als die Tür hinter mir ins Schloss klickt.
Sofort als ich die ersten Meter in Richtung Küche zurücklege, umfängt mich der gewohnte Geruch von italienischem Essen, Sand und Sonnenmilch. Aus reiner Neugier öffne ich den kleinen Wandschrank unter der Treppe und kann mir ein schelmisches Lächeln kaum verkneifen. Im Wandschrank riecht es nach Früher, nach der unverkennbaren Note von Schuhcreme, sauberer Wäsche und einem neuen Wasserball. Die Handtücher liegen wie immer in ordentlichen Reihen, schneeweiß und aufs genauste gerollt im Wäscheregal und kontrastieren strahlend mit der eigentlichen Dunkelheit des kleinen Raums. Alles wie immer. Ich lächle, während in mir ein großes Stück Angst abfällt und in der wohligen Wärme meines Zuhauses ertrinkt.
»Matteo? Bist du das?«, meine Mutter stiefelt mit großen Schritten und einem Geschirrtuch in der Hand, am Ende des Flurs, aus der Küche.
»Hallo Mama«, rufe ich ihr entgegen, richte mich auf und trete die Tür des Schranks mit der Hake wieder zu.
»Matt!«, kreischt mir meine Mutter entgegen, während sie mir umgehend – noch immer mit Geschirrtuch bewaffnet – fast die Luft aus dem Oberkörper drückt.
»Endlich. Dein Großvater treibt mich in den Wahnsinn und ich brauche dringend ein liebevolles Gesicht, das ich anschauen kann, wenn ich wieder kurz davor bin dem alten Mann die Pasta zu vergiften.«.
Endlich entlässt sie mich aus ihrer eisernen Umarmung und lächelt mich an, während sie meine Gesicht offensichtlich nach Veränderungen (oder Essensresten) absucht.
»Klar, Mama. Soll ich Grimassen ziehen, oder dir nach getaner Arbeit dabei helfen die Leiche im See zu versenken?«, scherze ich und folge ihr in die Küche.