»Was zur Hölle?«, rufe ich ins Halbdunkel des Waschkellers hinein. Der Geruch meines lieblings Weichspülers vermischt sich in meiner Nase, mit dem beißenden Geruch von Stuhl. Kacke. Kot. Irgendwie bekomme ich plötzlich ein wenig Angst davor den Lichtschalter umzulegen, greife aber dennoch um die Ecke und drücke den Schalter mit einem leisen Klicken nach unten.
Für circa eine Sekunde sind meine Augen leicht geblendet. Als sich meine Pupillen aber wieder scharf stellen, wünsche ich mir das Licht einfach nicht angeschaltet zu haben.
Genau in der Mitte des Kellerraums, eine Hand breit vom Ablauf entfernt, thront das mächtigste, perfekteste Exemplar eines Scheisshaufens, welches meine Augen jemals erblickten.
Ich trete ehrfürchtig einen Schritt näher an den Kackus Maximus, den Brain-Kack, den Herrn aller Haufen, heran. Der Geruch ist, so kurz vor der braunen Überraschung, so überwältigend, dass mir die Augen zu brennen beginnen.
Im meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken: Ist das hier die armselige Reinkarnation des Kacke-Golems aus Dogma? Wohnt Cerberus der Höllenhund seit kurzem in meinem Keller? Sind Obdachlose eingebrochen und beten nun durch die Gänge unseres Waschkellerablaufs zum Herrn der Unterwelt, indem sie ihm – aus Ermangelung anderen weltlichen Besitzes – ihr letztes Hab und Kot darreichen? Bin ich zufällig im Set von Jurassic Park 4 gelandet und gleich kommt Doktor Ellie Sattler um die Ecke, um mit dem Arm bis zur Achsel im Haufen zu wühlen und für die Dinofans zu beweisen, dass hier doch ein waschechter T-Rex vor meine Waschtrommel geschissen hat?
Ich denke wohl nicht. Plötzlich höre ich hinter mir Schritte. Die Tür zum Gartenaufgang wird geräuschvoll geschlossen. Das Klatschen von behornhauteten Füßen kommt watschelnd näher, vorne weg eine sanfter Luftzug, welcher mir das volle Aroma der braunen Miniatur des Mont Blanc in die Nüstern weht.
Wir schweigen im Pariser Duft von 1745
Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich vielleicht ein wenig zu nah an Scheißerix dem Kackegallier hocke. Ich muss kurz würgen.
»Frau Heinrichs?!«, das watscheln stoppt hinter mir. Mein Blick fällt auf krampfadrige Füße und folgt den drahtigen, unrasierten Beinen nach oben, bis meine Augen an der Rolle Recycling Klopapier (40er Körnung) hängenbleiben.
»Frau Müller?!«, erschrocken richte ich mich auf. Dümmlich blicke ich zwischen meiner sichtlich geschockten Nachbarin und dem Ragnarök-Haufen hin und her. »Ähm«, ich stammele.
Frau Müller atmet ein, setzt zum reden an, verstummt. Wir schweigen im Pariser Duft von 1745. Irgendwie poetisch, auf fetischistische Art, denk ich mir.
Frau Müllers Ausdruck verändert sich. Sehe ich da etwa Scham?
»Also,«, setze ich an. Frau Müller würgt jeden weiteren Redeversuch mit einem Fingerzeig in mein Gesicht ab.
»Was im Namen des Herrn machen Sie hier?! Sie sollten im Urlaub sein!«, schreit sie nun mit boshafter Miene.
»Meine verdammte Wäsche waschen?! Wir sind gestern Abend wiederkommen, wobei ich nicht weiß, warum Sie das einen feuchten Scheiß«, wie witzig, denke ich, »angehen sollte! Außerdem ist die Frage ja wohl eher: Was macht er hier?«
Ich trete einen Schritt zur Seite und deute theatralisch mit meiner Linken auf den verdauten Jabbar the Hut.
Frau Müller erwidert: »Das ist ja wohl kein Waschsalon! In ihrer Abwesenheit habe ich mit dem Vermieter ganz klar mein Atelier in diese Räumlichkeiten verlegt.«
Sie wird etwas ruhiger, grinst mich an und verschränkt die Arme vor der Brust. Frau Müller schaut, als ob sie gerade den Hauptgewinn einer Gameshow abgeräumt hätte.
»Is klar. Mit Verlaub, das hier ist ein Waschkeller. Auch wenn ich keine Münzen in meine Waschmaschine werfen muss bleibt das hier für alle Hausbewohner ein Gemeinschaftsraum.«
»Wenn Sie meinen«, sie dreht ihre hakige Version einer Nase hochnäsig ab, »Das sieht der Vermieter wohl anders. Aber, wie dem auch sei. Verlassen sie bitte sofort mein Atelier. Bis 18 Uhr gehören die Räumlichkeiten ausschließlich mir. Danach können sie gerne Ihre vollsynthetischen Beispielhaftigkeiten für Kinderarbeit waschen so lange sie wollen.«
Mir reicht es. Ich erdrossele diese Frau in wenigen Sekunden einfach mit dem Tanga, den ich als Erstes aus dem Schmutzhaufen greifen kann. Mir platzt die dünne Zündschnur.
Ich: »Ich verlasse hier gar nichts, bevor sie mir nicht zumindest erklären warum sie in unseren Keller scheißen!?«
Sie: »Das ist Material.«
Ich: »Das ist Scheiße.«
Sie: »Das ist mein aktuelles Arbeitsmittel!«
Ich: »Sie arbeiten also mit Scheiße?«
Sie: »Ich arbeite mit Kunst! Wie ignorant kann man sein? Man sieht doch ganz klar, dass dies die moderne Version von Piero Manzonis Merda d’artista von 1961 ist.«
Ich: »Also für mich riecht die Kacke noch recht frisch. Egal ob Italiener, oder nicht.«
Sie: »Natürlich ist das Material frisch! Es muss ja auch frisch abgefüllt werden.«
Ich ahne Böses. Eigentlich will ich garnicht fragen.
Ich: »Abfüllen?«
Sie: »Sie verstehen also wirklich gar nichts von Kunst. Ich interpretiere hier ein bedeutendes Stück Kunst neu. Für die Frauenrechte, Sie verstehen? Manzoni hat sein Material in Metalldosen gefüllt, nummeriert und verkauft. Ich hingegen transportiere diese herausragende Mischung aus Skulptur und Performance in ein neues Jahrhundert. Ökologischer, präziser, vegan und in wiederverwendbaren Gläsern. Die Erlöse gehen ausschließlich an die Kunst der Frauen Vereinigung Hackstädt 700 Performance e.V.«
Der leichte Würgereiz bahnt sich wieder einen Weg in meinen Rachen. Ich glaube ich kann die kacke-gewordene Alarmstufe Braun riechen.
Ich: »Frau Müller, das kann absolut nicht ihr«
Bevor ich den Satz beenden kann greift meine Nachbarin in eine der Wäschekisten, die sich direkt rechts von ihr, auf ihrer Maschine, befinden. Im Bruchteil einer Sekunde streckt sie mir ein prall mit King Kong Kommodenscheiße, gefülltes Glas entgegen. Vermutlich hat sie den Inhalt vorher zerteilt. Vermutlich mit einem Kleiderbügel. Vermutlich ziemlich sicher sogar. Das Label liest Merda d’artista
Re-Performance, 5/15, Inhalt Netto 200gr, Kunigunde Müller, Weckprodukt, KdFVH 700 Performance e.V.
»Für nur 67,56€ leisten Sie einen wichtigen Beitrag zur Kunst für und von Frauen.«
Sie streckt das Glas näher an mich heran. Fast berührt der gläserne Deckel meine Brust. Ich mache einen Ausfallschritt nach hinten, weiche nach rechts aus (Neo wäre auch nach der blauen Pille neidisch) und schieße an ihr vorbei hinaus in den Gang.
»Ne, muss los. Ich glaub mein Mann ruft.«
Raus aus dem Keller! So. Schnell. Wie. Möglich.
»Und Frau Heinrichs, Ihre Maschine ist beim Schleudern extrem Laut. Machen Sie die gefälligst nach Acht nicht mehr an! Ökologisch ist das bestimmt auch nicht.«, ruft mir die offensichtlich geistig verwirrte Frau hinterher.
»Das soll so. Is ne Klanginstallation!«
Frau Müllers Antwort warte ich garnicht erst ab. Ich werfe die Kellertür ins Schloss und atme die muffig-frische Luft des Hausflurs ein. Die Wäsche ist vorerst vergessen. Kontamination, und so.
Max kommt mir auf dem Weg in die zweite Etage entgegen. Er ist wieder zu spät, zur Arbeit, zu Terminen, zur Bar Mitzwa seines Bruders. Mir ganz egal. Wortlos trotte ich mit leerer Miene an ihm Vorbei. Als ich auf seiner Höhe gerade an ihm vorbeilaufen will rümpft er die Nase und verzieht angewidert das Gesicht.
»Jule? Is alles okay? Du riechst … hmm … komisch«, sagt er und hält mich am Arm fest.
»Ne.«, sag ich.
»Wie Ne? Haste Lack gesoffen?«
»Ne! Ich riech nach Kunst!«, ich werde langsam hysterisch, »und außerdem müssen wir jetzt in der Badewanne waschen. Aber vor allem müssen wir ausziehen. Am besten wandern wir aus. Irgendwo hin wo keiner Kunst und gepflegten Rasen mag und vor allem keine Nachbarn. Keiner mag Nachbarn. Warum, frag ich dich!? Warum ziehen Leute in Mehrfamilienhäuser, und warum zieht man da ein ohne vorher die Instagramprofile, Hobbys und – vor allem – Vereinsmitgliedschaften der Nachbarn zu checken?! Hä? Hä! Hä!«. Ich drehe vollkommen ab. Max blickt mich angsterfüllt an. Er hebt abwehrend die Hände.
»Jule« Pause. Er schaut mir nicht mehr ins Gesicht. Fast wirkt es so als könnte er mir nach diesem Ausbruch nicht mehr in die geweiteten Augen schauen, die nur von meine aufgeblähten Nasenflügeln übertroffen werden, durch die ich wütend schnaube.
»Was?!«, frag ich.
»Du hast Kacke am Socken.«